Nachts
Ich sitze wohl schon eine Weile hier, worauf ich warte, weiß
ich nicht, aber ich habe das Gefühl, vom Lärm der Züge abhängig geworden zu
sein, jede Änderung der Situation scheint mit verheerend; ich muss einfach
sitzen bleiben. Laut fühle ich die Nacht atmen, in meiner linken Hand, die ich
in der Tasche versenkt habe, brennt ein Klumpen Silber, von der Kälte wird mir
warm; ich versuche mich aufs vorbeirauschen der Züge zu konzentrieren, das
fluoreszierende Glühen der Leuchtstoffröhrenlichter in mich aufzusaugen, die
Schritte und Stimmen der Menschen, die mir genauso willenlos vorkommen wie die
Züge, in die sie steigen, hin und wieder sticht ein erschöpftes Gesicht hervor,
das sich zu fragen scheint: Was soll ich hier eigentlich?
Ich versuche das alles gleichzeitig wahrzunehmen, um nicht
nachzudenken, fühlend, wie der Moment sich aufbläht zu einem ganzen Leben, die
Züge, die wie Uhrzeiger nur dafür da zu sein scheinen, mir zu sagen, dass die
Zeit nicht stillsteht, sondern fließt, unaufhörlich, monoton, unvermeidbar,
unumstößlich, ohne jeglichen Sinn für Humor.
Plötzlich höre ich Worte. Intuitiv weiß ich, dass sie an
mich gewandt sind, und gleichzeitig versuche ich das zu verleugnen, die
Notwendigkeit zu antworten lässt die Magie des Augenblicks zerplatzen wie eine
Seifenblase…
„Kalt heute Nacht, was?“, sind die Worte gewesen. Als ich
nicht antworte, wiederholen sie sich, ich sehe mich um und blicke in viele
Gesichter; an der Dampfwolke vor dem Gesicht eines uniformierten Mannes sehe
ich, dass die Worte von ihm stammen, auch passt die Stimme zu seiner Statur,
also nicke ich in seine Richtung.
„Sie sitzen hier schon seit Sunden“. Er lässt nicht locker,
versteht nicht, dass ich gerade dabei war, mit meiner Umgebung zu verschmelzen,
und jetzt muss ich doch nachdenken. Ein Zug rast schnaubend vorbei, ich sage
ja.
„Wartest du auf jemanden?“
Wieder nicke ich. Ich betrachte seine Uniform, sie ist ultramarinblau, auf seinen Schultern sitzen rote Streifen, er scheint stolz darauf zu sein; irgendwann werden wir doch sowieso alle zu einem Haufen lebloser Atome degradiert werden, da hilft auch keine blaue Uniform. Erst jetzt fällt mir auf, dass anscheinend jemand mit einem Tuch die Sterne vom Himmel gewischt hat. Jedenfalls sind sie nicht da. Jetzt will er wissen, auf wen ich warte. Ich sage ihm, ich würde auf den Schnee warten. In einiger Entfernung isst ein anderer uniformierter Mann etwas aus einer Papiertüte, die Schultern hat er hochgezogen, anscheinend ist ihm kalt; die Vergeblichkeit des Versuchs, zu erkennen, was er isst, macht mir nicht weiter zu schaffen; im Grunde kann es mir auch egal sein.
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