07.04.2012

Ja. Also. Äh. Ja.

Vor Ewigkeiten auf der Festplatte gefunden. Dachte mir, ich batz das jetzt mal hier rein. Am besten in einem Atemzug lesen.


Nachts

Ich sitze im Bahnhof. Hochgeschwindigkeitszüge rauschen vorbei, einer nach dem anderen, ekstatisch, laut. Jeder von ihnen kommt mir vor wie ein Paket voller Kraft, das jedoch keinen Willen hat; ich habe aufgehört, sie zu zählen.
Ich sitze wohl schon eine Weile hier, worauf ich warte, weiß ich nicht, aber ich habe das Gefühl, vom Lärm der Züge abhängig geworden zu sein, jede Änderung der Situation scheint mit verheerend; ich muss einfach sitzen bleiben. Laut fühle ich die Nacht atmen, in meiner linken Hand, die ich in der Tasche versenkt habe, brennt ein Klumpen Silber, von der Kälte wird mir warm; ich versuche mich aufs vorbeirauschen der Züge zu konzentrieren, das fluoreszierende Glühen der Leuchtstoffröhrenlichter in mich aufzusaugen, die Schritte und Stimmen der Menschen, die mir genauso willenlos vorkommen wie die Züge, in die sie steigen, hin und wieder sticht ein erschöpftes Gesicht hervor, das sich zu fragen scheint: Was soll ich hier eigentlich?
Ich versuche das alles gleichzeitig wahrzunehmen, um nicht nachzudenken, fühlend, wie der Moment sich aufbläht zu einem ganzen Leben, die Züge, die wie Uhrzeiger nur dafür da zu sein scheinen, mir zu sagen, dass die Zeit nicht stillsteht, sondern fließt, unaufhörlich, monoton, unvermeidbar, unumstößlich, ohne jeglichen Sinn für Humor.
Plötzlich höre ich Worte. Intuitiv weiß ich, dass sie an mich gewandt sind, und gleichzeitig versuche ich das zu verleugnen, die Notwendigkeit zu antworten lässt die Magie des Augenblicks zerplatzen wie eine Seifenblase…
„Kalt heute Nacht, was?“, sind die Worte gewesen. Als ich nicht antworte, wiederholen sie sich, ich sehe mich um und blicke in viele Gesichter; an der Dampfwolke vor dem Gesicht eines uniformierten Mannes sehe ich, dass die Worte von ihm stammen, auch passt die Stimme zu seiner Statur, also nicke ich in seine Richtung.
„Sie sitzen hier schon seit Sunden“. Er lässt nicht locker, versteht nicht, dass ich gerade dabei war, mit meiner Umgebung zu verschmelzen, und jetzt muss ich doch nachdenken. Ein Zug rast schnaubend vorbei, ich sage ja.
„Wartest du auf jemanden?“
Wieder nicke ich. Ich betrachte seine Uniform, sie ist ultramarinblau, auf seinen Schultern sitzen rote Streifen, er scheint stolz darauf zu sein; irgendwann werden wir doch sowieso alle zu einem Haufen lebloser Atome degradiert werden, da hilft auch keine blaue Uniform. Erst jetzt fällt mir auf, dass anscheinend jemand mit einem Tuch die Sterne vom Himmel gewischt hat. Jedenfalls sind sie nicht da. Jetzt will er wissen, auf wen ich warte. Ich sage ihm, ich würde auf den Schnee warten. In einiger Entfernung isst ein anderer uniformierter Mann etwas aus einer Papiertüte, die Schultern hat er hochgezogen, anscheinend ist ihm kalt; die Vergeblichkeit des Versuchs, zu erkennen, was er isst, macht mir nicht weiter zu schaffen; im Grunde kann es mir auch egal sein.


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