30.06.2014

Abiturrede (by popular demand)

julymorning hat vor einer Menge Leute diesen Text zusammengestottert: :)

[ falsch zugeordnete Zitate von Marc-Uwe Kling:
„Es ist erstaunlich, was man alles erreichen kann, wenn man sich nicht darum kümmert“
- Angela Merkel
 “Das wichtigste im Leben ist die Berufswahl. Der Zufall entscheidet darüber.“
- Das Arbeitsamt ]

Das ist es also. Ein letztes mal Show, bevor ein neuer Alltag beginnt. In letzter Minute noch gefeilt, am Lächeln, an den Worten. Die Würfel sind gefallen, die Karten werden neu gemischt und wir ziehen Bilanz. Rien ne va plus, könnte man meinen, doch das ist nur eine Seite der Medaille oder des Pokerchips. Große Worte, die uns einschüchtern. Abitur, Verantwortung, Beruf. Es fällt bereits schwer, sie auszusprechen, sie klingen wie der Ernst des Lebens und es scheint, als hätten wir nun keine Wahl mehr, als uns in ein System einzuordnen, in die Gesellschaft einzugliedern und zu Unterstützern der Bürokratie zu werden, während wir einen weiteren Antrag ausfüllen und uns mit jeder Sekunde im Wartezimmer einer Behörde älter vorkommen. Jetzt denkt niemand mehr für uns, und, obwohl wir in den letzten zwölf Jahren eine Menge gelernt haben – wie etwa, dass Teamwork eigentlich nicht existiert, Wikipedia natürlich absolut keine zuverlässige Quelle ist und es möglich ist, auf ein Referat, das man in zwei Stunden zusammengezimmert hat, noch elf Punkte zu bekommen – fühlt es sich jetzt seltsam an, wankend, einen ersten Schritt in unbetretenes Gebiet, in den Mondstaub zu setzen. Es fühlt sich sogar so seltsam an, dass man in einem schwachen Moment dazu neigt, einfach die bereits gepflasterte Straße entlangzulaufen, sicher in den Fußstapfen anderer zu bleiben, denn wenn uns unsere eigene Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit schmerzlich bewusst wird, die Unmöglichkeit, all den Erwartungen gerecht zu werden, die von verschiedenen Seiten auf uns niederregnen, and if your head explodes with dark forebodings too, I'll see you on the dark side of the moon.
Wenn wir ständig damit beschäftigt sind, unser Gesicht zu wahren, die perfekte Fassade aufrechtzuerhalten, laufen wir Gefahr, zu vergessen, wer wir sind: ein Produkt Milliarden Jahre langer natürlicher Selektion, beginnend mit dem Urknall, ein Bewusstsein, etwas, das sich nicht in Kategorien einteilen und quantifizieren lässt – so sehr man es auch versucht. Wieso sollten wir uns noch länger damit aufhalten, so zu tun, als wären wir weniger, als bestünde unser Wert nur darin, welche Zahl oben auf dem Abiturzeugnis steht, wer sein Leben am Besten im Griff hat, wer das schönste Lächeln hat oder den lückenlosesten Lebenslauf. Dafür, uns den Anforderungen zu fügen und als Stütze des Systems unsere Rolle einzunehmen, haben wir noch mehr als genug Zeit. Und das werden wir wohl auch irgendwann tun, manche mit mehr, manche mit weniger Erfolg, aber ich will nicht, dass das zu unserem Lebensinhalt wird, dass die Frage, ob man alles richtig gemacht hat, im Repertoire der klugen Fragen verbleibt, denn sie ist es nicht, denn es gibt nichts, was zweifellos und vollkommen richtig ist, keinen aufgezwungenen heiligen Weg, nach dem wir uns richten müssen, und wenn es einem so vorkommt, dann nur, weil die innere Stimme oder das, was so hochtrabend Intuition heißt, irgendwo unter Bergen von Erwartungen, angestrebter Konformität und destruktiver Selbstkritik verschüttet ist. Vielleicht ist es heute an der Zeit, mit dem Vorschlaghammer zu kommen und etwas anderes zu zertrümmern. Nämlich die Fassaden, an denen wir so lange bauen, damit ja niemand auf die Idee kommt, man könnte irgendeinem gesellschaftlich anerkannten Ideal nicht entsprechen. Diese Mauern haben kein Recht, unseren Träumen Grenzen zu setzen, unserer Melodie ein Thema vorzugeben und unsere Vielgestaltigkeit in die Schranken zu weisen. Denn der Stoff, aus dem unsere Träume sind, ist der Stoff, aus dem wir sind.

1 Kommentar:

  1. oh, ich wünschte ich hätte dabei sein können, als du diese worte vor dem publikum gesprochen hast. es ist wirklich gut! (und marc uwe kling am anfang - herrlich)
    ich gratuliere dir herzlich zu deinem abitur!

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Batz was dazu!