12.03.2013

Seelenpioniere

Stille. Unendliche.
Zu keinem Zeitpunkt dieses beginnenden Lebens war es je so still gewesen. Der eigene Herzschlag, das Blut in den Adern, das eigene Leben bekam erstmals eine Hauptrolle in der Komposition Himmel-Erde. Irgendwo dazwischen, ganz fern rauschte es wie ein kleiner Bach, eine verzweifelte Metapher der Heimat. Kaum zu glauben, dass es hier immer so war. Schon immer so gewesen war. Unsichtbar, bis endlich ein entschlossenes Augenpaar hierher fand und durch den Staub in den Himmel blickte, in dem es sich befand.
Die Anzeichen von Leben schlugen leise, aber stetig und gaben ihm Sicherheit. Für diesen Augenblick hatte er die Stimmen vergessen, die mit ihm sprachen, sie gehörten in eine andere Wirklichkeit, die bis vor kurzem noch real war und es jetzt nie mehr sein würde. Winzige Familien, mikroskopisch kleine Wirtschaftskrisen, quantengroße Lebensträume auf einer grünblauen Erbse im leeren Raum. Das haben sie Realität genannt. Aber was war es jetzt? Wie viele solche Schritte, wie er sie gewagt hatte, konnte ein Mensch noch gehen? Jetzt war die Realität nur noch ein Sandkorn, ein Molekül, letztendlich ein Punkt, und er war noch lange nicht am Ziel.
Er atmete ruhig ein und aus, war sich des Sauerstoffs in seinem Körper bewusst, den ein so zerbrechliches kleines Wesen brauchte. Schon ein winzig kleiner Sprung von ungefähr vierzigtausend Kilometern brachte diesen Organismus in Lebensgefahr. Er sah die Schönheit und wusste gleichzeitig, dass das Sehen von Schönheit etwas typisch Menschliches war. Er war nur Opfer der Umstände, seiner Spezies, der Evolution, aber jetzt in diesem Moment schien das nicht beunruhigend. Es war einfach so. So, wie alles einfach war. Und dieses Sein, das war viel mehr, als er jemals hätte für wahr halten können.
Er war von unvorstellbarem, gigantischen Zusammenhang umgeben und gleichzeitig so großer Bedeutungslosigkeit, dass es fast ironisch war, weil er gerade hier der absoluten Leere gegenüberstand, sich von allen Hoffnungen auf Zweck verabschieden musste und nur noch als bloße Materie im Raum schwebte.
Und trotzdem war es schön, trotzdem lief ihm beim Blick auf diesen fernen Planeten eine Träne übers Gesicht, die aber niemand sehen konnte, und trotzdem glaubte er, es wäre eine riesengroße Ehre, dass er hier gleich im Himmel herumlaufen konnte wie ein Dreijähriger in einem Sandkasten.
Langsam, vorsichtig und ungeschickt bohrte Jahrmilliarden alter Sternenstaub seinen Menschenfuß in anderen Jahrmilliarden alten Sternenstaub, dann ging er fort und lernte einen alten Freund kennen.

4 Kommentare:

  1. Das steckt wahrscheinlich mehr Philosophie und Ethik drin, als in deiner Klausur :)

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    1. ich weiß nicht. ehrlicher ist es auf jeden fall, im vergleich zum panischen argumente-aus-den-fingern-saugen :D

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  2. Ziemlich großes Teleskop.
    Wunderschön.

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Batz was dazu!